GuMo - Old But Gold
- Julle
- 4. Okt. 2021
- 5 Min. Lesezeit
Es ist Donnerstagnachmittag in Leipzig, langsam wird es etwas unangenehm auf dem Steinsockel im Palmengarten zu sitzen und eine Fliege hätte sich beinahe in meinen Kaffee verirrt. Eigentlich wollte ich etwas über das Pflegepraktikum erzählen, aber einer Welle von motivierender Irritation folgend werde ich die Zeit nutzen stattdessen über Sonnencreme zu sprechen.
Mir erscheint es nämlich ein bisschen absurd, dass es in einer Welt, in der man sich auf der einen Seite bereits ein Jahr nach dem Aufkommen eines neuartigen Virus dagegen impfen lassen kann, es auf der anderen Seite keine bessere Möglichkeit die nackte Haut gegen die Sonne zu schützen, als eine Creme aufzutragen, die nicht nur meinen Nacken, sondern auch den Rest meiner Habseligkeiten vollschmiert, sich direkt wieder abwäscht wenn man auch nur eine Zehe ins Wasser gehalten hat und beim Versuch des Wiederauftragens in Kombination mit einer Prise Sand die gesamte oberste Hautschicht mit abschubbert.
Ich mein: Sind wir nicht langsam an einem Punkt, an dem es dafür eine bessere Lösung geben muss? So eine Impfung gegen UV-Strahlung, eine Pille zum einnehmen?
Wie da also die Sonne langsam hinter den Ufergewächsen verschwindet, auf der Brücke die Straßenlaternen angehen und der Typ hinter mir sich wegen seines anscheinend kratzigen Hals alle zwei Minuten derart räuspert, sodass es sich anhört, als ob ich mich im Kino vor ihm geräkelt hätte und er seinen Mut zusammennehme, um sich zu beschweren, lasse ich meine Gedanken über das Minenfeld weiterer Dinge schweifen, die entgegen des Titels irgendwie mehr Old als Gold sind und definitiv einer Alternative bedürfen:
1. Die Manier sich zu zuprosten am Tisch: So unangenehm wie man sich in diesen Momenten in die Augen sehen muss, wurde ich das letzte mal von meiner Kunstlehrerin in der vierten Klasse angeguckt, als sie mich gefragt hat, ob ich überhaupt wüsste, wie man eine Schere benutzt. Mit dem Blick auf die Mascara meines/r Gegenüber/s gerichtet werde ich mit einer 88%igen Wahrscheinlichkeit die Hälfte meines Getränks verschütten und überhaupt existieren auch sonst keine Bräuche der Wickinger mehr in unseren Reihen außer vielleicht auf Super-RTL und als Eintopf von Maggi.

2. Fahrradschlösser mit Schlüssel statt mit Code. Das addiert nur ein weiteres, leicht zu verlierendes Kleinteil zu meinem Leben und somit weiteres Potential im schlimmsten Fall vor meinem Rad zu stehen, gehetzt, eventuell Einkäufe unter den Arm geklemmt, auf der Mission mein eigenes Fahrrad zu klauen.
3. In Mails alle möglichen Titel einer Person reinzupacken. Neulich wollte ich mich lediglich für eine Kleinigkeit bedanken, aber prompt muss die Google Suchmaschine angeschmissen werden, in der Hoffnung die Person ein irgendeinem jahresalten Zeitungsartikel aufgelistet zu finden, um keine Arschbombe der Unhöflichkeit ins Fettnäpfchen der Verdammnis einer falschen Anrede mit fehlenden und/ oder misssortierten Titel zu landen:

4. Klobürsten. Mir gefällt der Gedanke, dass nichts die Menschheit mehr vereint, als die regelmäßige Produktion von Fäkalien, außer vielleicht das Bedürfnis diese vom edlen Porzellan der Toilettenschüssel zu kratzen, was darin resultiert, dass egal wie vergoldet dein Wasserhahn ist, zu jedem Zeitpunkt eine einzige ekelige Bürste in deiner Badezimmerecke steht, deren einziger Zweck das Abrubbeln von Kaka ist.
... haha Old But(t) Gold
5. Tauben. Gab’s jetzt lang genug oder? Ich mein, wenn sogar Klee mutiert, muss die Natur doch wohl besseres im Petto haben, als die wohlgenährten Viecher, die vorm Bahnhofsgebäude von Pflasterstein zu Pflasterstein hüpfen auf der Jagd nach einem dreieinhalb Monate alten Brezelkrümel oder unkooridiniert in genervte Gesichter flattern mit dem Ziel jemandem das Hosenbein oder einfach den Tag zu versauen.
6. Turnbeutel, weil man nur ein sehr geringes Gewicht reinpacken kann, bevor er dir richtig doll in die Schultern einschneidet und sich dann auch noch während des Tragens so fest zu geht, dass man mit aller Macht versuchen muss seinen Zeigefinger in die Öffnung zu schieben, um das Biest wieder offen zu zwingen (wahrscheinlich noch in der U-Bahn und dir ist irgendwas darin ausgelaufen), was mir jedes Mal schlechte Laune, abgewetzte Nagelwälle und ein mildes Karpaltunnelsyndrom beschert und mich am Snipes Store, im Grunde genommen an der Menschheit und nicht zuletzt meinem Verstand zweifeln lässt.
7. Der Buchstabe X. Mittlerweile gibt es doch eigentlich kein Wort, dass nicht mit einem gediegenen ‚cks‘ geregelt werden könnte.
8. Trillerpfeifen, weil gefühlt die einzigen Menschen, die die Dinger benutzen derartige Sportlehrer*innen sind, die es sich zum Beruf gemacht haben Zehjährige in 7/8-Sportleggins und Turnschuhen mit hellen Sohlen zu mobben und jedes Mal einen gellenden Pfiff erklingen lassen wenn mal wieder jemand Cooper-Test umgeknickt ist.
9. Die oben genannten 7/8 Sporthosen.
10. Der oben genannte Cooper-Test.
11. Leuten auf die Schulter zu tippen, wenn man was von ihnen möchte - ich würde lieber mit einem kompletten Bodyslam darauf aufmerksam gemacht werden, wenn mir etwas aus der Hosentasche gefallen ist, als einen gruselig repetitiv kratzenden halb-langen Fingernagel an meinem Oberarm zu fühlen. Da muss der offene Rucksack dann offener Rucksack bleiben, weil ich verspreche euch, ich bin schon dabei um mein Leben zu rennen.
12. Das Vater Unser. Es ist nicht meine Intention grundlegende Kritik an der Kirche zu üben (dafür reicht ein Blick in jedes Nachrichten Portal) mir geht es hauptsächlich darum, dass die Anrede merkwürdig verdreht klingt, wir alle wissen was passiert, wenn jemand möchte, dass sein Reich kommt, ja wohl alle gelernt haben, dass es ‚ich möchte‘ und nicht ‚ich will‘ heißt, ich letzte Woche meine täglichen Knoblauchbrotchips noch von der Tankstelle holen musste, weil am Sonntag alles zu hat, ich beim Gedanken an muffige Oblaten nicht ver-, sonder mich übergeben will und das einzige wirklich Ewige, die Marzipan Figuren von Ostern 2003 im Wohnzimmerschrank sind, die sich noch niemand erbarmt hat wegzuschmeißen.
13. Esspapier, weil es nicht nur offensichtlich kein Papier ist, sondern ich auch meine Zweifel daran habe, dass es tatsächlich essbar ist.
14. Rindenmulch. Es gibt Menschen und dann solche, die mit 10L Rindenmulch unterm Arm aus dem Baumarkt maschieren, aber eigentlich ganz geil wenn man mal Lust hat sich in seinem eigenen Garten wie ein Nagetier zu fühlen.
15. Nur ganz schneller Exkurs: Hochschulstart?? Ich will gar nicht zu weit ausholen, aber wer damit zu tun hatte, wird verstehen dass es eine Zeit gab, in der dieses Portal zu 80% Quelle meines Frusts und verantwortlich für vier von fünf Tobsuchtsanfällen war.
16. Mücken, weil meiner Meinung nach das Argument nicht zieht, dass sie als Futter für Spinnen ihre Existenz rechtfertigen, das wäre so wie wenn man versucht die Kohlrabi damit zu verteidigen, dass man ihn angeblich verzehren kann. Wobei das von meiner Seite aus bis dato eine unbestätigte Theorie ist.
17. Diese Käppis, die nur Schirm sind und du mit dieser Mono-Scheuklappe am Ende des Tages einfach trotzdem Sonnenbrand auf dem Scheitel, einen Abdruck auf der Stirn und vermutlich einen leichten Spannungskopfschmerz hast. Ich gebe aber zu auch so ein Ding in pink zu besitzen und ein bisschen stolz darauf zu sein.
Allmählich wird mir ein wenig kalt um die Nase, der Typ hinter mir ist schon vor zwanzig Minuten oder so sich immer noch räuspernd weggestiefelt, mein Kaffeebecher wäre viermal fast weggeflogen und ich glaube mein linker Fuß ist taub, muss kurz checken...
... jap ist er.
Während das Ameisenkribbeln einsetzt, schließe ich diesen kleinen Rant fürs Gemüt mal ab.
Ja, es ist eigentlich ganz süß, dass man anstößt, nein, Turnbeutel sind gar nicht mal so schrecklich, ja, Rindenmulch unter einem Klettergerüst ist besser als eine Platzwunde, nein, so sehr ich mich auch bemühe habe ich abschließend kein gutes Wort mehr über den Cooper-Test zu verlieren, ja, ich wollte mich einfach mal ein bisschen aufregen und ja mir geht es jetzt besser.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Bitte cremt euch ein - Love goes out!

PS: Da mir das echt immense Freude bereitet hat und es wirklich so viel eigentümlichen Kram auf der Welt gibt, wird dieses Werk sicherlich kein Einteiler bleiben, sondern mit zumindest mal Bestandteil einer Trilogie.
PPS: Ich sag nur Tankinis???
Comentários