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GuMo - Endspurt Unscripted

  • Autorenbild: Julle
    Julle
  • 16. Sept. 2022
  • 7 Min. Lesezeit

GuMo aus dem Zug nach Berlin,

als ich das Ticket gekauft habe, habe ich die Optionen gesehen entweder fünf Euro für eine Sitzplatzreservierung oder dasselbe Geld für ein leckeres überteuertes Kaltgetränk am Bahnhof auszugeben und ich denke es bedarf keiner weiteren Ausführung worin die Überlegung geendet ist. Jetzt steht mein leerer Becher, der einmal einen Iced Matcha Latte beherbergt hat (ja ich schäme mich ein bisschen für diese Auswahl) bei meinem Sitznachbarn, der das netterweise angeboten hat, auf dem Klapptisch und während er sein Smartphone daran angelehnt hat, schmilzt ihm der Frost an der Aussenseite auf die Handyhülle. Ist das komisch?

Update: Er reibt es gerade an seinem Hosenbein trocken.

Zweites Update: Jetzt lutscht er seinen nassen Finger ab. Ich kann nicht mehr.

Obwohl ich dachte meine Taschen sorgfältig von allen Spuren der letzten Monate befreit zu haben ist da eine kleine zerknitterte Karteikarte in meinem Rucksack, die mich daran erinnern sollte das Biochemie-Praktikumsskript zum Glucosetolaranztest zu lesen und ehrlich gesagt bin ich ein bisschen froh gerade neben dem Typen und meinem gelbgrünlich geschmolzenen Eiswürfel-Wasser sitzen und nicht im Carl-Ludwig-Institut, während von drei meiner Finger Blut aus blassblau angelaufenen Einstichstellen auf die Tischunterlage tropft und Elisabeth bereits seit zehn Minuten an einem vierten verzweifelt versucht genug Blut für eine 50 µl Glas-Kapillare herauszumelken.


Oder bei der entsprechenden Urinprobe in einer schmerzhaften Kniebeugenposition über dem Klo kauernd, während eine andere Kommilitonin über die Kabinenwände hinweg in die Runde fragt wie voll wir die Becher eigentlich machen sollen und ich ihr mit zerstochenen Fingerkuppen, pipiwarmern Plastikbecher zwischen Zeige- und Mittel-, den Urinstreifen zwischen Mittel- und Ringfinger geklemmt, kläglich an der fest steckenden Klopapier rolle zerrend, inständig hoffend, dass mein Handy nicht gleich einen Kopfsprung aus meiner hinteren Hosentasche in die Toilette macht antworte, dass ich keine Ahnung habe.


Eigentlich wollte ich ein willkürliches Video auf Youtube angucken, doch beim Öffnen des Browsers grinst mir als geöffneter Tab das faulige Gebiss des Thieme Examen Online Physikum Lernplans entgegen.

Dieser Lernplan ist vergleichbar mit einer niemals endenden Firmenfeier und jeder Lerntag ist eine Vesper-Platte auf der jedes zu lesende Kapitel wie ein kleines zu trockenes Weißbrothäppchen thront und jemand zwingt dich an einem Tag alle zu essen. Erst denkst du das passt schon irgendwie rein, aber nach dem ersten Bissen fällt dir auf, dass alle unter anderem mit leicht angeschimmelter Thunfisch-Paste bestrichen sind, weswegen jeder nächste zur absoluten Qual wird bis man irgendwann gar nicht mehr richtig kaut und versucht das Brot im Ganzen herunter zu schlucken und wenn du dann abends beinahe kotzend und nicht mehr wissend wie vielen Brote du gegessen hast und was da eigentlich im einzelnen noch drauf war, ins Bett fälltst, stellt dir jemand eine zweite Platte für den nächsten Tag auf den Schreibtisch.

Wenn du aufwachst geht der Spunk von vorne los. Beinahe zwei Monate lang.

Irgendwann stapeln sich wie von Geisterhand immer mehr eklige Thunfisch-Häppchen auf den Servierplatten und weil du es nicht schaffst an einem Tag alle davon herunter zu würgen, weißt du, dass du am nächsten Tag einen richtig frühen Wecker stellen musst, um um halb sieben bereits das erste Brot von gestern Abend in Angriff zu nehmen.

Was ich damit sagen will, ist, dass niemand in so einem kurzen Zeitraum so krank viele Häppchen essen sollte. Aber was will man tun, Fisch. (Spaß)


Im Anschluss also ein kleines Exzerpt dessen in Echtzeit der letzten zwei Monate im entspannten Work-Day-Format:


Dienstag, 09.08. 2022

7:00 Rise and Scheiß

Sanft wachgeküsst von Versagensangst, freudiger Erwartung an kalten Kaffee vom Vortag und dem Tageslicht, dass hell durch die rolladenlosen Fensterscheiben fällt, lausche ich dem Schnurren des Betonmischers, der auf der Baustelle (ihr kennt sie mittlerweile alle) gerade angeschmissen wird. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite spukt ein Mann aus dem Dachfenster heraus auf den Gehweg. Idylle.

7:12

Revidiere, in der Kaffeekanne ist leider nur noch ein schleimiger Restbestand, der vermutlich bereits eine eigene Persönlichkeit entwickelt hat.


7:13 Kaffee-Fee

Vollautomatikmaschinen sind solange geil, wie du das nervenaufreibende Roulette gewinnst und dir tatsächliche eine der glücklichen drei Tassen zu zapfen darfst, die nicht beinhalten, dass du das Biest neu füttern, die gottverdammte Tropfschale leeren, das gesamte untere Drittel abbauen musst, um den Kaffeesatz überumständlich in den Biomüll zu prügeln, ein stockkatholisches Ritual vollführen, bitten und betteln, im Mondschein splitterfasernackt um eine Regentonne tanzen und deine Seele irgendeiner C-Gottheit versprechen sollst, nur um ein kleines bisschen wacher zu werden und plötzlich sehr dringend auf Toilette zu müssen.

7:14

Zum Glück haben wir keine Vollautomatik- sondern eine Filterkaffeemaschine. Yum!


7:25 Haushalt 1

Zufriedenen hole ich eine neue Rolle Klopapier aus der Abstellkammer. Ich bin ein bisschen stolz darauf, den Vorrat gestern endlich aufgefüllt zu haben, denn seit zwei Tagen wische ich mir meinen Hintern mit Taschentüchern ab. (sorry für tmi)


7:27 Haushalt 2

So stolz vielleicht doch nicht, da das Handseifenstück vor ein paar Tagen zu neige gegangen ist und an dieser Stelle nun ein kleines Häufchen Bilou cremiger Pflegeschaum Sorte Cotton Candy herhalten muss. Meine Fingerspitzen duften jetzt verlockend nach jenem Kulturbeutel, den ich auf die Klassenfahrt 2014 hin mitgenommen habe

7:33 Persönlich vertraulich

Zeit zu gucken was vom gestrigen Lerntag noch übrig geblieben ist und den heutigen auszuchecken:

Seht ihr den Zahnarzttermin da um 17:30? Der unter der lilafarbenen neun? Genau für den hatte ich noch mindestens drei weitere Notizen mit zwanzig mal so vielen Ausrufezeichen, damit ich auch bloß nicht vergesse da aufzutauchen. Wass ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wusste, ist , dass der Termin eigentlich um 14:15 war. Fortsetzung folgt.

10:10

10/10 Chance of tears.


11:46 Business Lunch:

In der WhatsApp-Gruppe beginnt die alltägliche Debatte ob wir 12:00 oder 13:00 Mittagessen gehen.

Spoiler: Wir würden vermutlich wieder um halb eins gehen.

Unterdessen stopfe ich zwei baustellenstaubige Flaschen Mate in meinen Rucksack. Immerhin klirrt es beim Schultern des Rucksacks jetzt so als würde ich, statt in die Mensa und im Anschluss in die Bibliothek zu gehen, zum Grillen in den Park oder an den See fahren.

12:30 wie gesagt

Mittagessen. Das ist eine der vier wackligen Säulen der Konstanz auf denen diese Tage stehen.


13:00 Nogger Ausnogger

Max kauft ein Nogger-Eis. Das ist die zweite Säule.


14:15

Eigentlich hätte ich jetzt im Behandlungsstuhl der zahnärztlichen Praxis sitzen sollen, damit mir jemand eine große Schippe Abdruckmasse mit Waldbeergeschmack in den Mund schiebt.

auch 14:15

Stattdessen begebe ich mich in der Bibliothek auf die Such nach einem netten Sitzsack in dem meine Wirbelsäule noch ein bisschen mehr leiden darf. Diese ist also all zu bald wohl keine Säule mehr.


14:20 Nicknacks im Sitzsack

Kein Sitzsack ist mehr frei. Aber bin lowkey (eigentlich highkey) der Meinung, dass die Person die da seelenruhig neben ihren Wasabi-Nüssen ein Nickerchen macht, den mal an mich abgeben könnte.

15:00 Panic (leider nicht at the disco)

Der Tag fühlt sich jetzt offiziell nach Nachmittag an. Und damit wird es also Zeit ein bisschen Panik zu schieben (vierte Säule). Die Liste an der zu lesenden Kapiteln links auf meinem Bildschirm scheint mich auszulachen während ich mit aller Macht überlege, ob ich mir von dem vorherigen irgendetwas behalten habe.


15:03

Nein, habe ich nicht.


17:30 Zahnhygiene

Die Sprechstundenhilfe guckt sehr, sehr böse, als ich da aufkreuze. Entschuldigend strecke ich ihr meine Krankenkassenkarte hin.

Update: Das hier ist die Mail, die ich einen Tag vor dem darauffolgenden Termin von der Praxis erhalten habe:


17:36

Korrigiere: Es ist Geschmacksrichtung Bubblegum und nicht Waldbeere.


17:58 Massephase

Ich weiß nicht welche Masse schlimmer ist, die an Kapiteln, die noch zu lesen übrig geblieben sind oder der Rest der Abdruckmasse, der noch an meinem Gaumen klebt. Massephase ist aber bekanntlich meine Lieblingsphase. Um ehrlich zu sein weiß ich auch nicht welche die anderen Phasen sind.


19:00 Entertainment Center

Habe ein neues Level der Dreistigkeit damit freigeschaltet geräuschvoll ein Caprese-Baguette direkt am Platz in der Bibliothek zu schmausen.

Unterdessen fällt es mir wirklich schwer mich bei einem zwanzig-minütigen Tutorial zur Histologie der Speicheldrüsen zu konzentrieren und ich bin außerdem skeptisch, weil wisst ihr noch wer ebenfalls 20minütige Sprachnachrichten schickt? Richtig, der Tinder Swindler.


19:02 Im Spa

Stilecht ist mir eine Tomate in den Schoß gefallen. Vor Schreck wäre das Gelpad unter meinem unteren Augenlid direkt hinterhergerutscht. Man tut dieser Tage alles für ein bisschen Komfort.

Update: Helli sagt ich trage sie immer falsch herum.


20:00 Abendnachrichten

Das Wetter-Widget meines Tablets zeigt mir irgendwie immer das Wetter von Cupertino, Kalifornien an (habe nachgeguckt, davor dachte ich Cupertino wäre in Italien) und das einzige, was zu dem vorhergesagten Sonnenschein passt, sind meine schwitzigen Oberschenkel, die gerade mit dem Bib-Stuhl zu einem gemeinsamen großen Festkörper fusionieren, sowie das vertrocknete und unwiderruflich zerstörte Organgenbäumchen in unserer Küche.


20:15 Prime Time/ Yoga

Zeit ein Ründchen zum Kaffeeautomaten in der Bibliothek zu drehen und dabei so lange in der Postition des herabschauenden Hundes zu verharren bis 200 überteuerte Milliliter Wiener Melange (die Getränkewahlen in diesem Beitrag bewegen sich an der Grenze zu dem was ich bereit bin zuzugeben) in einen Becher gelaufen ist, der nur mit 40° Neigung irgendwie unter den Ausgusshahn passt.


23:15 maximale Nahakkomodation

Meine Weitsicht hat eindeutig unter der Bildschirm-Strapaze gelitten, merke ich als die Straßenlaternen ein wildes Muster in der Ferne fabrizieren und ich dreimal hingucken muss, um die Uhrzeit auf der Bahnanzeige zu erkennen.


23:20 mnfdxgzhioegogfihue

Eben stand ich vor der Haustür und habe statt meines Schlüssels das Portemonnaie aus dem Rucksack geholt, das Fach mit den Karten geöffnet und länger als ich mir eingestehen möchte überlegt, was ich eigentlich nochmal tun wollte.


23:36 Ringbahn

Der Apfel, der den ganzen Tag mit in meinem Rucksack gereist ist, darf jetzt wieder in den Kühlschrank. Bis morgen, mein Freund, selbe Zeit, selber Ort!


Mittlerweile sieht der Typ neben mir so aus, als würde er meinen tropfenden Becher am liebsten doch nicht zu sich auf den Klapptisch genommen haben, aber geschenkt ist geschenkt, right?

Das nervigste an echten Konversationen ist, dass man keine Gifs verschicken kann, sonst hätte ich ihm jetzt das hier gezeigt:


Kurzum, ich bin froh jetzt ein bisschen Piano zu machen und in den Gewässern des Alltags nicht nach Motivation, Moral oder mehr Müsliriegeln zu fischen, sondern einfach nach Schlaf und die Nasenspitze aus diesem kleinen, ätzenden Mikrokosmos mit aus Mateflaschen getrunkenem Leitungswasser und Instagram-Stories von Bibliotheksdecken recken zu können (wer es kennt: ich kann echt kein weiteres Foto vom Glasdach der Campus-Bib ertragen Leute), in diesem mein größter Feind wahrscheinlich mit Abstand die Zeit und mein zweitgrößter ich selbst war.

Jetzt werde ich in allem Müßiggang kontemplieren, ob ich zuerst die Mitgliedschaft auf Thieme examen online oder im Fitnesstudio kündige (Spoiler: beides) und mit noch viel größerer Freude das WLAN im Zug nicht anfeuern meine Multiple-Choice-Kreuzesession schneller zu laden sondern neugierig und interessiert zusehen wie die eine Frau da die Kerzen ihrer Mutter gegen Milchgläser austauscht. Genuss!

Außerdem ist es absolut überfällig folgende Notiz zu löschen:

„Embryologie: Glockenstadium Inneres Schmelzepithel (Ameloblasten), Schnelzpulpa, Zahnsäckxjen -> daraus entsteht albeolarknochen???“

Digga count me out, what kind of fuckery is this.


Love goes out!


PS: Wer aufgepasst hat wird merken, dass ich den ganzen Tag nicht geduscht habe.


PPS: Hier nochmal die Säulen als Zusammenfassung, falls jemand nicht mitgekommen ist:

PPS: Lest euch bitte diesen Einleitungstext zu Lerntag Nr. 4 durch und versucht ohne zu lachen zu sagen, dass die Person, die diesen Zwinker-Smiley geschickt hat nicht eine gescheuert verdient.


 
 
 

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